„An unhappy scapula indicates an unhappy shoulder.“– Ein Zitat Ben Kibler´s, MD, FACSM, der am 1. Juni 2018 beim zweiten SHOULDER COURSE REHAB in Nizza den Kongressauftakt mit seiner Masterclass gab. In seinem Vortrag ging es im Besonderen um die Herangehensweise bei der klinischen Untersuchung einer Scapuladyskinesie sowie deren Stellenwert unter den Schulterpathologien.
Birgit Castelein, MSc, PT, stellte zudem Studien aus Ihrem Team um Ann Cools, PhD, PT, der Universität Gent in Belgien vor, die untersuchte, welche Übungen tatsächlich die scapulastabilisierenden Muskeln ansprechen.
Dieser Artikel bietet somit ein Update für die im Juli 2016 bei MT TO GO erschienen Beiträge `Therapieansätze zur Behandlung von Scapuladyskinesien` (http://mt-togo.com/fachliches/therapieansaetze-zur-behandlung-von-scapuladyskinesien/) und `Pathomechanismus und Diagnostik von Scapuladyskinesien` (http://mt-togo.com/fachliches/pathomechanismus-und-diagnostik-von-scapuladyskinesien/).
Nach Dr. Ben Kibler besteht bei 67-100% aller Schulterpathologien eine Scapuladyskinesie, die den Scapulo-thorakalen Rhythmus beeinträchtigt. Die klinische Präsentation zeigt das sogenannte SICK, was für Scapula malposition, Inferior medial border prominence, Coracoid pain and malposition und dysKinesis of Scapular movement steht.
Klinische Scapula-Assessments zeigen eine schwache Reliabilität und eine schwache Korrelation mit der Biomechanik des Scapula und den Ursachen einer Scapuladyskinesie. Sie sollten aber zwingender Bestandteil der klinischen Untersuchung des Schultergelenks sein, nicht um eine spezifische Diagnose zu stellen, sondern um einen Zusammenhang zwischen der Schulterproblematik und Scapula herzustellen und die Symptome entsprechend zuzuordnen und verstehen zu können.
Wie bereits im vorangegangenen Beitrag beschrieben, sollten vorherrschende muskulären Dysbalancen erkannt werden und Typ1-3 nach Kibler zugeordnet werden. Diese Zuordnung erfolgt hinsichtlich der Referenzpunkte Angulus inferior (Typ 1), Margo mediales (Typ 2) und Margo superior (Typ 3) (Kibler et al. 2002).
Typ 1 zeigt sich bei verkürztem Musculus (M) Pectoralis minor und hypotonem M. Trapezius pars ascendens und tritt häufig beim Impingement-Syndrom oder bei Rotatorenmanchetten (RM)-Läsionen auf. Typ 2 zeigt sich bei verkürztem M. Pectoralis minor/ major und hypotonem M. Serratus anterior, M. Trapezius pars ascendens/ transverusus und Mm. Rhomboideii und tritt häufig bei glenohumeraler Instabilität auf. Typ 3 zeigt sich bei verkürztem M. Levator scapulae und M. Trapezius pars descendens und hypotonem M.trapezius pars ascendens und tritt häufig bei RM-Läsionen auf (Kibler et al. 2013).
Zusätzlich sollten in der klinischen Untersuchung die spezifischen Funktionstests standardisiert durchgeführt werden: Der Scapular Assistence-Test (SAT), der Scapular Retraction-Test und der Scapular Reposition-Test. Beim Scapular Assistence-Test wird die Beweglichkeit und Schmerzsymptomatik durch die Stabilisation des Angulus inferior gegen den Thorax beurteilt. Beim Scapular Retraction-Test und der Scapular Reposition-Test wird die Scapula in Retraktion, Außenrotation und in Posterior Tilt gebracht. In dieser Ausgangsstellung wird beim Scapular Retraction-Test beispielsweise ein Impingement-Test erneut durchgeführt und beurteilt. Beim Scapular Reposition-Test wird bei dieser Einstellung der Scapula die Beweglichkeit und Schmerzsymptomatik beurteilt. Auch wenn nicht erwiesen ist, inwieweit die Beweglichkeit der Scapula bei o.g. Tests beeinflusst wird, erweist sich z.B. der SAT als reliables Messinstrument (Rabin et al. 2006).
Außerdem sollte immer die Beurteilung der Statik, Konstitution und Rumpfstabilität durch den One Leg Half Squat und den One Leg Stance getestet werden, denn eine verminderte motorische Kontrolle führt zu einer ineffizienten Kraftübertragung (Sciascia und Cromwell 2012). Bei 51% der Patienten mit einer Scapulardyskinesie ist eine solche Schwäche zu erkennen. Zusätzlich sollten das Acromeoclaviculargelenk hinsichtlich einer Instabilität und das Glenohumeralgelenk bezüglich einer mechanischen Einschränkung untersucht werden. Krafttests der scapulastabilisierenden Muskeln sowie Längentests für den M. Pectoralis minor (PM), den kurzen Kopf des M. Biceps brachii und die dorsale Kapsel (Glenohumeral Internal Rotation Deficit (GIRD)) sollten ebenfalls durchgeführt werden.
Die Behandlung der Scapuladyskinesie sollte demnach in vier Stufen absolviert werden. Stufe 1 bildet die proximalen Kette mit der Verbesserung der Rumpfstabilität. Stufe 2 das Stretching der coracoidalen Muskeln und der dorsalen Kapsel, Stufe 3 die periscapuläre Kräftigung und Stufe 4 die klassischen Übungen für die Rotatorenmanchette. Die Muskeln, die in Stufe 3 vorrangig betrachtet werden sollten, sind der M. Trapezius pars descendens und pars ascendens, auch Upper Trapezius (UT) und Lower Trapezius (LT) genannt, sowie der M. Serratus anterior (SA), die bei der Elevation <90 Grad die Aufwärtsrotation der Scapula und die posteriore Kippung durchführen. Bei der Elevation >90 Grad stabilisiert der LT die Aufwärtsrotation, der SA stabilisiert den Margo mediales und führt die Außenrotation durch.
Diverse Studien zeigen eine gute Effektivität periscapulärer Kräftigung (Hotta 2018). Welche Muskeln bei den periscapulären Kräftigungsübungen gezielt angesprochen werden, untersuchte Birgit Castelein, MSC, PT aus Belgien. Ihr Team führte dafür drei Studien durch, in denen durch eine elektromyografische Messung die entsprechende Muskelaktivität evaluiert wurde.
In der ersten Studie wurden Muskelaktivitäten bei Elevationsübungen untersucht: Elevation in Scapulaebene, Towel Wall Slide sowie Elevation mit Außenrotation im Stand. Eine Follow-up Studie untersuchte zusätzlich die Außenrotation in Seitlage (SL), die Flexion in SL, die Extension in Bauchlage (BL) sowie die Abduktion/ Außenrotation (AR) in BL. Dabei zeigte die Elevation mit Außenrotation im Stand eine hohe Aktivität des LT, der Rhomboiden und des M. Trapezius transversus, auch Middle trapezius genannt (MT), der als Stabilisator des Margo mediales die Aufwärtsrotation einleitet. Eine niedrige Aktivität zeigen der PM und der UT (Castelein et al. 2016). Die AR in SL ergab dieselben Ergebnisse sowie zusätzlich eine niedrige Aktivität des M. Latissimus dorsi (Cools et al. 2007).
In der zweiten Studie wurde die Aktivität des M. Serratus anterior (SA) und des M. Pectoralis minor (PM) bei Übungen mit Protraktion untersucht: Push-up-Plus (Wall), Knee Push-UP-Plus und ipsilaterale Serratus Punches am Zugapparat im Stand. Die höchste Aktivität des SA und zugleich niedrigste des PM zeigte der ipsilaterale Serratus Punch, wenn er konzentrisch ausgeführt wird (Castelein et al. 2016).
Die dritte Studie untersuchte die Aktivität der periscapulären Muskeln beim sogenennten Shrugging (Schulterzucken), beim Shrug Overhead und bei der Retraktion Overhead. Dabei zeigte das Shrugging eine hohe Aktivität des UT, aber auch des LS. Der Shrug Overhead dagegen eine deutlich niedrigere Aktivität des LS und der RM und ebenso eine hohe des UT. Die Retraktion Overhead zeigte im Gegensatz zu den anderen beiden Übungen eine hohe Aktivität des MT und LT, aber auch eine hohe Aktivität der RM.
Für den UT zeigen alle drei Übungen eine hohe Aktivität, was laut Meakins et al. 2013 eine wichtige Muskelstruktur für die Unterstützung der Aufwärtsrotation ist. Dieser empfiehlt neben den Over Head Shrugs die Monkey Shrugs mit dem Kettle Ball oder Hanteln für eine vermehrte Aktivierung des UT und gleichzeitig, wie oben dargestellt, eine verminderte Aktivierung des LS (Meakins 2013).
Die Take-Homes Messages sind deshalb folgende:
- Für eine Aktivierung des MT und LT sollte die AR-Komponente zu der periscapulären Kräftigungsübung hinzugefügt werden.
- Für die optimale Aktivierung des SA sollten konzentrische Serratus Punches durchgeführt werden.
- Für die optimale Aktivierung des UT mit wenig Aktivierung des LS und der RM sollten Overhead-Shrugs durchgeführt werden.
Literatur:
Castelein B, Cools A, Parlevliet T, Cagnie B.Modifying the shoulder joint position during shrugging and retraction exercises alters the activation of the medial scapular muscles. Man Ther 2016 Feb; 21:250-5.
Castelein B, Cagnie B, Parlevliet T, Cools A. Serratus anterior or pectoralis minor: Which muscle has the upper hand during protraction exercises? Manual Ther 2016; 22:158-164.
Castelein B, Cagnie B, Parlevliet T, Cools A. Superficial and Deep Scapulothoracic Muscle Electromyographic Activity During Elevation Exercises in the Scapular Plane. J Orthop Sports Phys Ther 2016 Mar;46(3):184-93.
Cools A, Dewitte V, Lanszweert F, Notebaert D, Roets A, Soetens B, Cagnie B, E. Witvrouw E. Rehabilitation of Scapular Muscle Balance: Which Exercises to Prescribe? Am. J. Sports Med. 2007; 35:1744.
Hotta G, Lopes Santos A, McQuade K, Siriani de Oliveira A. Scapular-focused exercise treatment protocol for shoulder impingement symptoms: Three-dimensional scapular kinematics analysis. Clinical Biomechanics 2018; 51:76–81.
Kibler B, Ludewig M, McClure W, Michener A, Bak, K & Sciascia D. Clinical implications of scapular dyskinesis in shoulder injury: the 2013 consensus statement from the ‚Scapular Summit. Br J Sports Med 2013; 47:877- 85.
Kibler B, Uhl L, Maddux Q. Qualita- tive clinical evaluation of scapular dysfunction: a reliability study. J Shoulder Elbow Surg 2002; 6: 550–556.
Meakins A. The upper trapezius, over assessed, over blamed and misunderstood! The Sports Phys 2013.
Rabin A, Irrgang JJ, Fitzgerald GK, Eubanks A. The intertester reliability of the Scapular Assistance Test. J Orthop Sports Phys Ther. 2006 Sep;36(9):653-60.
Sciascia A. & Cromwell R. (2012). Kinetic Chain Rehabilitation: A Theoretical Framework. Rehabilitation Research and Practice 2012.