Bei Funktionsstörungen der Oberen Kopfgelenke (OKG) entsteht durch die neurophysiologischen Zusammenhänge klinisch ein komplexes Beschwerdebild. Betroffene Patienten klagen neben dem Nackenschmerz über ausstrahlende Schmerzen im Bereich des Nervus Trigeminus.
Der Nervus Trigeminus als V.Hirnnerv hat motorische und sensible Nervenfasern. Er entspringt am Pons des Hirnstamms und gliedert sich in drei Äste: Nervus Mandibularis (motorisch und sensibel), Nervus Maxillaris (sensibel) und Nervus Ophthalmicus (sensibel).
Während die motorische Nervenwurzel ihren Ursprung im Nucleus motorius nervus trigemini hat, verfügt der Nervus Trigeminus zusätzlich über drei sensible Kerne:
- Nucleus spinalis nervus trigemini,
- Nucleus principalis nervus trigemini und
- Nucleus mesencephalicus nervus trigemini.
Der Grund für die oben beschriebenen komplexen Symptome ist die zervicotrigeminale Konvergenz. Das bedeutet: Die Segmente C0/1, C1/2 und C2/3 haben gemeinsame afferente Projektionen zum Nucleus spinalis nervus trigemini (1.), der sich als einziger der drei Trigeminuskerne bis in die oberen drei Segmente des Rückenmarks erstreckt.
Alle propriozeptiven und nozizeptiven Afferenzen aus den Segmenten C0, C1 und C2 können dementsprechend kraniomandibuläre Beschwerdebilder hervorrufen. Die Afferenzen vermitteln Gewebeschäden aus der Peripherie an das Zentrale Nervensystem. Die oberflächigen und tiefsomatischen Afferenzen (aus Muskeln oder Knochen) laufen einerseits über die A-Fasern und langsam leitenden C-Fasern zu den spinalen Trigeminuskernen, die sich in der Medulla oblongata bis C2 erstrecken. Andererseits laufen sie zum Mesencephalon, was mit der Medulla oblongata und dem Pons den Hirnstamm bildet und vor allem für die Steuerung und Planung der Bewegung eine Rolle spielt.
Die Afferenzen werden bereits weitestgehend auf Höhe des zweiten Neurons am Vorderhorn verschaltet und haben dadurch direkten Einfluss auf die motorischen Efferenzen. Die afferente Verschaltung läuft aber auch über die aufsteigenden Bahnen über die Zentren der Formatio reticularis (netzartig im gesamten Hirnstamm und Rückenmark mit hoher Durchlässigkeit für alle Afferenzen C1-C3), den Hypothalamus, gefolgt vom Thalamus (Tor zum Bewusstsein) bis zum Cortex.
Zusätzlich erklären weitere Afferenzen aus der Muskulatur der oberen HWS und dem Trigeminusgebiet zum Cochleareskern den subjektiven kraniomandibulären Tinnitus oder Hörsturz, was jedoch zusätzlich differentialdiagnostisch abgeklärt werden sollte. Weitere Verschaltungen zu den Augenmuskelkernen und den Vestibulariskernen, können die zervikalen und kraniomandibulär bedingten Gleichgewichtsstörungen hervorrufen.
Hinsichtlich der Wirkung von Afferenzen der OKG auf den motorischen Ast, d.h. den Nervus Mandibularis sind Verbindungen nur für tiefsomatische Afferenzen zu den spinalen Trigeminuskernen und von dort zum motorischen Kern nachgewiesen. Hier konnte in einer Studie nachgewiesen werden, dass manualtherapeutische Techniken an der oberen Halswirbelsäule bei Patienten mit Craniomandibulärer Dysfunktion (CMD) eine subjektive Schmerzlinderung des Musculus Masseter und des Musculus Temporalis (aus dem Nervus mandibularis) zeigten (Groß 2009).
Die zervicotrigeminale Konvergenz erklärt zum Beispiel auch die klinischen Symptome bei einem veränderten Spannungszustand des Musculus Sternocleidomastoideus aus dem Plexus Cervicalis (C2-4), dessen Hauptwirkung sich auf die OKG entfaltet. Während er bei einseitiger Kontraktion die Seitneigung und Rotation entgegengesetzt durchführt, kann er bei beidseitiger Kontraktion und flektierter Halswirbelsäule in der Endphase eine Flexion bewirken. In extendierter Stellung (was klinisch häufig als Steilstellung beschrieben wird) bewirkt er allerdings eine Translation nach vorne und damit eine Extension in den OKG, was mit myofaszialen Befunden der kurzen Nackenmuskeln korreliert (Innervation durch die dorsalen Rami der Spinalnerven aus C1-3). Der Musculus Sternocleidomastoideus verhindert aber auch eine Translation nach dorsal, was bei einem Hyperextensionstrauma verursacht werden kann. Durch den Beschleunigungsimpuls auf den nicht vorgespannten Muskel reagiert dieser mit einer verzögerten konzentrischen Anspannung. Zusätzlich kompensiert er oberflächlich die häufig abgeschwächte tiefe stabilisierende Halsmuskulatur (Innervation durch die ventralen Rami der Spinalnerven C1-4). Durch die beschriebenen veränderten Spannungszustände des Muskels können einerseits myofasziale Triggerpunkte entstehen, was zu Spannungskopfschmerzen führen kann. Andererseits kann eine mechanische Bewegungseinschränkung in den OKG zu einer Reizung der Nozizeptoren führen und klinische Symptome wie Schwindel, Gleichgewichtsstörungen oder visuelle und akustische Symptome hervorrufen-durch die zervicotrigeminale Konvergenz.
Literatur:
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von Heymann W. Zur Neurophysiologie der oberen Halswirbelsäule. Neurophysiology of the upper cervical spine. Man Med 2015; 53: 114–120.
Lieben Dank für diesen Artikel.
Bestätigung meiner klinischen Arbeit und weiter mit Motivation dem Studium der Physiotherapie zu folgen, um
die Professionalisierung voranzutreiben.
Vielen Dank für die gute Erläuterung. . Bei mir liegt eine fehlerhafte CMD Behandlung/fehlerhafte Okklusion vor. Dieser Beitrag erklärt hervorragend mein Beschwerdebild.