Die Axiale Spondylarthritis (SpA)- man kennt sie, man behandelt sie, aber ist man wirklich up to date? Dieser Beitrag soll helfen die SpA richtig einzuordnen, die Kriterien der Diagnosesicherung zu kennen und die richtige Behandlungsstrategie zu wählen, denn….es sind mehr jüngere Menschen betroffen als man denkt.
Schmitt et al. veröffentlichten 2021 eine gute Übersicht in der MSK – Muskuloskelettale Physiotherapie, die die Basis für diesen Blog-Beitrag bietet.
Die SpA ist als entzündliche Wirbelsäulenerkrankung aus dem rheumatischen Formkreis definiert und betrifft im Gegensatz zur rheumatoiden Arthritis (HWS-betont) die gesamte Wirbelsäule. Sind im Röntgenbild bereits strukturelle Veränderungen erkennbar, spricht man von der ankylosierenden SpA (AS) bzw. dem Morbus Bechterew. Die Manifestationen können muskuloskelettal oder extraskelettal sein. Extraskelettal manifestiert sich die Erkrankung am Auge, der Haut und am Darm. Die Uveitis z.B. zeigt sich mit einem geröteten, schmerzhaften und lichtempfindlichen Auge bei einem Drittel der Patienten.
Die Pathogenese beschreibt ein Zusammenspiel zwischen dem Immunsystem und Bakterien zusammen mit einer genetischen Disposition, dem HLA-B27-Gen. Zusätzliche mechanische Reize können entzündliche Prozesse in Gang setzen, an denen Entzündungsmediatoren wie Tumornekrosefaktor (TNF), Interleukin-17 und -23 beteiligt sind. Ebenso können bakterielle Ursachen ein Auslöser sein, z.B. bei der Psoriasis mit einer geschädigten Hautbarriere oder chronisch-entzündliche Darmerkrankungen mit einer geschädigten Darmmukosa. Auch Harnwegsinfekte können eine derartige reaktive Arthritis auslösen.
Die ersten Symptome treten bereits im 2. Und 3. Lebensjahrzehnt auf, vor allem im sacroiliakalen, lumbalen und unterem thorakalen Bereich. Dabei entwickeln sich die strukturellen und entzündlichen Veränderungen im Bereich der Sehnenansätze. An der Wirbelsäule direkt sind die Bereiche des Anulus fibrosus, das Periost an den Seiten des Wirbelkörpers und die Gelenkkapsel der Facetten- und Rippengelenke betroffen. Sacroiliakal zeigt sich die Entzündung an der Gelenkkapsel und den Sehnenansätzen.
Die Diagnosestellung bedarf einer interdisziplinären Zusammenarbeit. Sie erfolgt anhand der Anamnese, der klinischen Untersuchung, Laborbefunden, der Bildgebung und dem Ausschluss von Differentialdiagnosen. Diese einzelnen Parameter werden anhand der ASAS klassifiziert: Assessment of Spondylo-Arthritis International Society. Diese Klassifikation zeigt mit 79,5% eine gute Sensitivität und mit 83,3 % eine gute Spezifität. Für die ASAS liegen als Eingangskriterien das Vorhandensein von Rückenschmerzen >3 Monate und ein Patientenalter unter 45 Jahren zugrunde. Danach wird geprüft, ob die Bildgebung eine Sakroiliitis zeigt oder das HLA-B 27- Gen vorliegt. Dann werden SpA-Kriterien geprüft (Entzündlicher Rückenschmerz (ERS), Arthritis, Enthesitis (Ferse), Uveitis, Daktylitis, Psoriasis, M.Chron/ C.ulcerosa, gutes Ansprechen auf NSAR, positive Familienanamnsese, HLA-B-27, erhöhtes CRP). Können 1 oder 2 Kriterien nachgewiesen werden, kann sie Diagnose SpA gestellt werden. Der ERS stellt dabei ein zentrales Symptom dar (Rudvaleit et al. 2011).
Online steht ebenfalls als Fragebogen der Bechterew-Check der Rheumatologie der Charité am Campus Benjamin Franklin zur Verfügung, um die Wahrscheinlichkeit einer entzündlichen Wirbelsäulenerkrankung abschätzen zu können: https://www.bechterew-check.de.
Klinisch sollte in der Rheumatologie immer eine gründliche körperliche Untersuchung erfolgen, Haut und Nägel hinsichtlich einer ggf. vorliegenden Psoriasis beurteilt werden. Periphere Gelenke werden auf Druckdolenz und Schwellungen untersucht. Die Wirbelsäule wird in Lateralflexion, Flexion/ Extension, Rotation und auf das Vorliegen eines Klopfschmerzes untersucht. Für die Flexion der LWS kann das modifizierte Schober-Maß und der Finger-Boden-Abstand (FBA) verwendet werden. Beim modifizierten Schober-Test, werden ab den SIPS anstatt 10 cm 15 cm nach cranial gemessen, da die LWS normalerweise ca.15 cm lang ist. Insgesamt zeigt der Test eine gute Intra- und Intertesterreliabilität, jedoch keine gute Validität für die Messung der LWS-Flexion, da auch bei einer Messung mit 15 cm häufig nicht die gesamte LWS erfasst wird. Der FBA weist eine sehr gute Intratester-Reliabilität und gute Intertester-Reliabilität auf. Dabei beeinflusst der Schmerz die Intertester-Reliabilität nicht. Die Validität bzgl. der lumbalen Beweglichkeit ist jedoch unzureichend, auch wenn sich der Test gut als Befundparameter eignet. >17 cm gelten hierbei als positives Testergebnis im Sinne einer verminderten Beweglichkeit (Horre 2004).
Für die Kyphosierung kann laut S3-Leitlinie das Fléche-Maß bzw. der Hinterhaupt-Wand-Abstand und für die BWS das Ott-Maß angewendet werden. Das Ott-Maß weist wie das Schober Maß keine gute Validität auf, da die Messtrecken das anatomische Maß nicht erfassen können (Bergmann 2023). Zusätzlich sollten das Flèche -Maß, auch Hinterkopf-Wand-Abstand (HWA) genannt, und die Thoraxexcursion mit einem Maßband bei Maximaler Insiration und Expiration evaluiert werden.
Die Laboruntersuchung sollte die Bestimmung der Entzündungswerte und die HLA-B27-Bestimmung beinhalten. Als Entzündungswerte gelten die Blutsenkungsgeschwindigkeit, die sich dabei erhöht zeigt, und das C-reaktive-Protein (CRP). Dieses Eiweiß wird bei einer Entzündung reaktiv in der Leber gebildet. Zu beachten ist jedoch, dass z.B. nur 40-60% der Patienten mit einer SpA erhöhte CRP-Werte haben. Der Nachweis von HLA-B27 zeigt zwar mit 83-96% eine hohe Sensitivität und mit 90-96% eine hohe Spezifität auf. Er dient jedoch nicht der Diagnosesicherung. Hier ist die Bildgebung ein entscheidendes Kriterium, ob im konventionellen Röntgenbild Veränderungen sichtbar sind. Dafür muss aber explizit die Bildgebung anhand der Frage nach einer entzündlich-rheumatischen Wirbelsäulenerkrankung, sprich einer axialen SpA durchgeführt werden, damit sie richtig ausgeführt wird. Sensitiver und ein wichtiges weiteres diagnosesicherndes Tool ist das MRT, da entzündliche Veränderungen der Bandscheibe, der angrenzenden Wirbelkörper und Weichteilstrukturen als Vorstufe postentzündlicher knöcherner Veränderungen sichtbar werden. Sie wird anhand der aktuellen Leitlinie empfohlen (https://register.awmf.org/assets/guidelines/060-003k_S3_Axiale-Spondyloarthritis-Morbus-Bechterew-Fruehformen-2019-10.pdf). Eine Sonographie und eine Skelettszintigraphie dienen nicht der Diagnosesicherung. Die Patienten leiden häufig unter einem Fatigue. Zusätzlich ist das Risiko einer Osteoporose durch die entzündlichen Prozesse und die Immobilität erhöht. Die systemische Entzündung fociert ebenso die akzelerierte Arteriossklerose und die Amyloidose (Eiweißablagerung in Organen). Die verminderte Thoraxbeweglichkeit hat eine Ventilationsstörung zur Folge.
Heutzutage sollte eine SpA bei rechtzeitiger Diagnosestellung die Lebenserwartung nicht wesentlich einschränken. Leider liegt jedoch genau hier das Problem. Die Diagnosestellung erfolgt laut Studienlage 6,7 Jahre verzögert (Zhao et al. 2021). Häufig wird die SpA differentialdiagnostisch vor allem bei jungen Leuten nicht in Erwägung gezogen und es wird lediglich das konventionelle Röntgen durchgeführt, wo keine entzündlichen Veränderungen dargestellt werden können. Dabei kann durch die bisher genannten Kriterien eine frühzeitige Diagnosesicherung mit einem Einleiten der ärztlichen und physiotherapeutischen Therapie kostbare Lebensqualität bringen.
Um in der Therapie neben der o.g. Befunde einen Eindruck von der Krankheitsaktivität zu bekommen, können zusätzlich folgende Fragebögen hinzugezogen werden, die ebenfalls die körperliche Funktionsfähigkeit darstellen: Bath Ankylosing Spondylitis Disease Activity Index (BASDAI) und der Bath Ankylosing Spondylitis Functional Index (BASFI). Der BASDAI beurteilt die Krankheitsaktivität mit 6 Fragen nach Müdigkeit, Rückenschmerzen, Schmerzen in peripheren Gelenken und Morgensteifigkeit auf der NRS. Ein BASDAI von >-4 gilt als behandlungsbedüftig und stellt eine Indikation zur Biologika-Therapie dar. Er zeigt eine gute Vaidität und Reliabilität und zeichnet sich durch seine Akzeptanz und Praktikabilität aus (Bönisch und Ehlebracht-König 2003). Online ist der Fragebogen frei verfügbar (Bsp.: https://rheumatologie.at/storage/app/media/pdf/SpA_ASAS-BASDAI.pdf).
Der BASFI ermittelt die Einschränkung der körperlichen Funktionsfähigkeit mit 10 ADL´s, die anhand der NRS eingeschätzt werden. Eine gute bis exzellente Test-retest-Reliabilität besteht mit 81,2-99,7% für 8/10 Items (Swinnen et al. 2016): https://www.rheumatologie.at/storage/app/media/pdf/SpA_ASAS-BASFI.pdf) Als dritten Fragebogen gibt es den Bath Ankylosing Spondylitis Metrology Index (BASMI) als Summenmaß für Beweglichkeitseinschränkungen. Er zeichnet sich durch eine exzellente Inter- und Intratesterreliabilität aus (Martindale et al. 2012): https://rheumatologie.at/storage/app/media/pdf/SpA_ASAS-BASMI_10_steps.pdf.
Die medikamentöse Therapie stützt sich in erster Linie auf nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR) als Mittel der Wahl, da diese eine gute Erfolgsquote zeigen. Glukokortikoide oder das in der Rheumatologie häufig eingesetzte Sulfasalazin oder Methotrexat sind nicht erfolgsversprechend. Eine hohe Bedeutung dahingegen hat die Biologikatherapie. Sie ist eine Antikörpertherapie gegen die Entzündungsmediatoren bei der axialen Spondylarthritis wie Tumornekrosefaktor (TNF) und Interleukin-17 (IL-17). Diese kommen zur Anwendung bei hohen Entzündungszeichen wie erhöhten CRP-Werten, einem BASDAI ³4 und/ oder einem positivem MRT-Befund sowie unzureichende Wirkung von NSAR. IL-17 sollten allerdings nicht bei einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung eingenommen werden. Bei Tumor-Vorerkrankungen oder einem Schwangerschaftswunsch wird die Therapie individuell und interdisziplinär entschieden, da hier nur bestimmte Biologika in Frage kommen. Ein erhöhtes Infektions- oder Tumorrisiko konnte jedoch für TNF-Blocker ausgeschlossen werden (Braun et al. 2007).
Konservativ wird in der evidenzbasierten S-3 Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh) und der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) von 2019 u.a. eine manuelle Therapie zum Erhalt und zur Verbesserung der Wirbelsäulenbeweglichkeit und der Körperhaltung empfohlen. Manipulationen sollten vermieden werden.(https://register.awmf.org/assets/guidelines/060-003k_S3_Axiale-Spondyloarthritis-Morbus-Bechterew-Fruehformen-2019-10.pdf). Kombinierte Interventionen wie Haltungsschulung, Mobilisation der Wirbelsäule, des ISG und der Extremitäten sowie Weichteiltechniken zeigten signifikante Veränderungen hinsichtlich der Schmerzintensität (VAS), des BASFI und BASDAI, des Schober-Tests, der Thoraxexcursion und der occiput-to-wall distance (Némethné Gyurcsik et al. 2012). Boudjani et al. kamen 2022 zu einem ähnlichen Ergebnis. Dabei zeigte eine Kombination aus Mobilisations- und Kräftigungsübungen den größten Effekt. Mit p<0,0001 war der Effekt beim BASFI am stärksten. UND: Ein angeleitetes hochintensives Übungsprogramm führt darüber hinaus sogar zu einer signifikant erhöhten Gesundheitsüberzeugung und damit zu einer erhöhten körperlichen Aktivität (Bilberg et al. 2021). Es gibt also genügend evidenzbasierte Untersuchungstechniken, Behandlungsansätze und Therapiestrategien, um die axiale Spondylarthritis zu erkennen und entsprechend zu therapieren.
Literatur:
Bergmann F. Ott-Zeichen und Schober-Zeichen: 2 valide Klassiker? Ott’s sign and Schober’s sign—two valid classics? 2023; 61: 257–261.
Bilberg A, et al. Supervised intensive exercise strengthen exercise health beliefs in patients with axial spondyloarthritis: a multicentre randomized controlled trial. Arthritis Care. Res. 2022 Jul;74(7):1196-1204.
Bönisch A. und Ehlebracht-König. Der BASDAI-D – ein Fragebogen zur Erfassung der Krankheitsaktivität bei Spondylitis ankylosans und verwandten Erkrankungen. Zeitschrift für Rheumatologie 2003; 62(3):251-263.
Boudiani et al. Impact of different types of exercise programs on ankylosing spondylitis: a systematic review and meta-analysis. 2022; 21 3989-4000.
Braun J, Sieper J. Ankylosing spondylitis. Lancet 2007; 369: 1379-1390.
Gyurcsik et al. Improvement in pain intensity, spine stiffness, and mobility during a controlled individualized physiotherapy program in ankylosing spondylitis. Rheumatol Int. 2012 Dec;32(12):3931-6.
Horre T. Finger-Boden-Abstand und Schober-Test-genügen diese Tests wissenschaftlichen Krierien? Manuelle Therapie 2004; 8: 55 – 65.
Martindale et al. An exploration of the inter- and intra-rater reliability of the Bath Ankylosing Spondylitis Metrology Index. Clin Rheumatol. 2012 Nov;31(11):1627-31.
Rudwaleit et al. How to diagnose axial spondyloarthritis early. Ann Rheum Dis 2004; 63: 535-543.
Schmitt et al. Axiale Spondyloarthritis – der „rheumatische Rückenschmerz“. MSK – Muskuloskelettale Physiotherapie 2021; 25(04): 161-169.
Schmitt et al. Axiale Spondyloarthritis – ein Fallbeispiel aus ärztlicher Sicht. MSK – Muskuloskelettale Physiotherapie 2021; 25(04): 169-175.
Swinnen et al. Instrumented BASFI (iBASFI) Shows Promising Reliability and Validity in the Assessment of Activity Limitations in Axial Spondyloarthritis. J Rheumatol 2016 Aug;43(8):1532-40.
Zhao et al. Diagnostic delay in axial spondyloarthritis: a systematic review and meta-analysis. Rheumatology 2021; 60: 1620-1628.