Die Arthrofibrose (AF) ist eine pathologische Vermehrung von Bindegewebszellen und Narbenzügen, sowohl peri- als auch intraartikulär. Die spindelförmigen Fibrozyten liegen zwischen den einzelnen Fasern der Extrazellulären Matrix (ECM) und stabilisieren das Bindegewebe, wo sie feste Netzwerke bilden können. Im Rahmen der physiologischen Wundheilung erfolgt eine Aktivierung residenter Fibroblasten zu Myofibroblasten. Kommt es zur geregelten Apoptose der Myofibroblasten, liegen Auf- und Abbau der ECM sowie die Synthese der Xylosytransferase (XT) im Gleichgewicht. Bleiben diese Myofibroblasten bestehen und zeigt sich eine erhöhte ECM-Synthese und XT-Aktivität, kommt es zu einer pathologischen Bindegewebsvermehrung.
Während das Kniegelenk nach Einsetzen einer Totalendoprothese mit 6-10% am häufigsten betroffen ist, zeigt sich in den letzten Jahren eine Zunahme von AF nach OP´s des Femoro-Acetabulären-Impingements und des Schultergelenkes. Man vermutet, dass die großen Freiheitsgrade dafür verantwortlich sind. Im Verhältnis sind w>m betroffen, v.a. nach Sportunfällen zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr und bei Z.n. Knie-Tep zwischen dem 55. und 65. Lebensjahr. Risikofaktoren sind systemische Grunderkrankungen oder eine anhaltende Gelenkirritation und Neigung zu vermehrter Narbenbildung. Charakteristisch ist die schmerzhafte Bewegungseinschränkung im Tibiofemoral- und Patellofemoral-Gelenk (90° Flexion), ein Extensionsdefizit von 10° sowie ein `Schraubstockgefühl`. Unterschieden wird zwischen einer primären und sekundären AF. Während der sekundären eine lokale, häufig mechanische Ursache zu Grunde liegt, dessen Auslöser operativ behoben werden kann, hat die primäre AF einen deutlich längeren Heilungsverlauf. Sie kann ebenfalls mit einem komplexen regionalen Schmerzsyndrom (CRPS) einher gehen. Es kommt zu einer Fehlregulation des Sympathischen Nervensystems.
Der Pathomechanismus der AF erklärt den richtigen Therapieansatz, denn Fibroblasten sind mechanisch sensibel. Mechanischer Stress aktiviert somit die Fibroblasten und verhindert den natürlichen Zelltod. Der Neurotransmitter, Substanz P, wird freigesetzt und verstärkt die AF durch die Produktion von Wachstumshormonen. Ein zusätzlicher emotionaler Stress führt zur Vermehrung von Fibroblasten. Dieses Gewebe wird in kürzester Zeit durch Schmerznerven versorgt, wodurch sich das hohe Schmerzniveau der Patienten erklären lässt.
Fazit: Dehnungen, Mobilisation, Motorschiene über die Schmerzgrenze hinaus sind kontraproduktiv!
2015 wurde ein neues Pathogenesemodell der AF nach Faust und Traut veröffentlicht und stützt sich auf Ergebnisse der aktuellen Fibroseforschung. Das bedeutet, dass das sogenannte Verklebungsmodell mit mechanisch dominanter Behandlung in Frage gestellt wird und möglichst schnell die `Antifibrotische` Therapie beginnen sollte (Traut 2020). Im Stadium I der AF (Vermehrung der Fibroblasten und Extrazellulärer Matrix ) und im Stadium II (wenn Stadium I nur wenige Monate angedauert hat) kann mit konservativer antifibrotischer Therapie die Apoptose erreicht werden. In Stadium III ist die antifibrotische Therapie nicht mehr zielführend. Hier besteht die Indikation zur arthroskopischen Arthrolyse.
Wie sieht die Antifibrotische Therapie für Stadium I und II aus und gibt es entsprechende Evidenz?!
Das Wichtigste ist die schmerzfreie Mobilisation, so dass es zu keiner Aktivierung fibrotischer Prozesse kommt. Das bedeutet, es können Gelenkspieltechniken aus dem Manuelle Therapie – Konzept nach Kaltenborn-Evjenth in Stufe I oszillierend schmerzlindernd oder in Stufe II intermittierend angewendet werden, um zusätzlich einen mobilisierenden Effekt zu bewirken. Gelenkspieltechniken zeigen eine signifikante Verbesserung des ROM im KG (Maher et al. 2010, Hunt et al. 2010, Kirchner 2013). Bei segmentalen Funktionsstörungen, die möglicherweise mit dem KG korrelieren, kann die segmentale Mobilisation ebenfalls in Stufe II, aber auch in Stufe III durchgeführt werden. Wenn eine segmentale lumbale Stabilisation indiziert ist können Motor control-Übungen angewendet werden. Mit Hilfe einer Pressure Biofeedback Unit (PBU) lassen sich beispielsweise die Abduktoren trainieren ohne dass es zu einer Kompensation durch den M. Quadratus lumborum kommt (Heon-Seock et al. 2006).
Die Regulation des Vegetativums kann z.B. über eine Mobilisation der Brustwirbelsäule (BWS) stattfinden. Die Mobilisation der BWS (posterior-anterior) verringert die Herzfrequenzvariabilität (HRV) und erhöht die Pulsfrequenz. Die Mobilisation hat somit Einfluss auf das VNS (Rogan et al. 2019).
Die Nervenmobilisation kann ebenso angewendet werden, da die Nervenexkursion nach langwieriger Knieverletzung signifikant verändert ist (Moll et al. 2017). Neurodynamische Techniken (Slider und Tensioner) zeigen eine signifikante Veränderung der KG-Extension (Herrington 2013).
Osteopathische Techniken dienen darüber hinaus noch dem viszeralen Behandlungsansatz.
Die Manuelle Lymphdrainage (MLD) führt zu einer Ableitung von Stoffwechselprodukten, der Normalisierung des Sauerstoff- und Nährstoffangebotes und der Aktivierung des Parasympathikus. MLD optimiert den Heilungsprozess nach einer Knie-Tep und die Lebensqualität durch Schmerzlinderung und verminderte Kinesiophobie (Cihan et al. 2019). Dies unterstützen können die Wassertherapie und basische Fußbäder.
Bei der Medizinischen Trainingstherapie sollten vorranging crossing Effekte genutzt werden, um schmerzlindernd auf die betroffene Seite zu wirken.
Continuous passive motion zeigt dagegen keine Verbesserung von ROM und Funktion (XiaYang et al. 2019). Auch der Vergleich von Continuous active motion (CAM) versus Continuous passive motion (CPM) bringt keinen Vorteil (Tietze 2020).
Durch die elektrische Gewebestimulation von Mikrostrom kommt es zur Schmerzlinderung. Heilungs- und Regenerationsprozesse lassen sich anregen und verbessern. Pulsierende elektromagnetische Felder (PEMF) steigern die Mikrozirkulation und steigern damit den Abtransport von Zytokinen und Stoffwechselprodukten (Traut 2020).
Mit Hilfe von Spiegeltherapie kann die Wahrnehmung/ Bewegung der betroffenen Seite optimiert werden und vermindert die Angst vor dem Schmerz. Die Veränderung auf dem präfrontalen Kortex lassen sich somit beeinflussen.
Durch die negative Beeinflussung von emotionalem Stress sind ein autogenes Training oder psychologische Einzelgespräche anzuraten. Zusätzliche diätische Maßnahmen mit antiinflammatorischem Potential unterstützen den Therapieverlauf.
Insgesamt lässt sich zusammenfassen, dass es in der Physiotherapie nicht nur darauf ankommt die AF zu erkennen, sondern auch richtig zu behandeln, denn die Prävention der Arthrofibrose durch Physiotherapie hat eine wesentliche Bedeutung in der Nachbehandlung der Knieendoprothesen (Gollwitzer et al. 2006).
Literatur:
Cihan et al. Outcomes with Additional Manual Lymphatic Drainage to Rehabilitation Protocol in Primary Total Knee Arthroplasty Patients: Preliminary Clinical Results. Suleyman Demirel University Journal of Health Sciences Volume 12, Issue 3, 319 – 329, 2021.
Gollwitzer H, Burgkart R, Diehl P, Gradinger R, Bühren V. Therapie der Arthrofibrosenach Kniegelenkendoprothetik. Die Orthopädie 2006 (2). Heon-Seock Cynn et al. Effects of Lumbar Stabilization Using a Pressure Biofeedback Unit on Muscle Activity and Lateral Pelvic Tilt During Hip Abduction in Sidelying. Arch Phys Med Rehabil 2006 (11); 87:1454-1458.
Herrington L. Effect of Different Neurodynamic Mobilization Techniques on Knee Extension Range of Motion in the Slump Position. Journal of Man & Manip Ther 2013 (14); 2:101-107.
Hunt et al. Effect of anterior tibiofemoral glides on knee extension during gait in patients with decreased range of motion after anterior cruciate ligament reconstruction. Physiother Can 2010; 62 (3): 235-241.
Kirchner A. Funktionsgleiten und Gleitmobilisation nach VKB-Rekonstruktion. Haben manuelle Techniken einen Einfluss auf Bewegungsausmaß und Schmerzempfinden? PT Zeitschr 2019; 11:34-37.
Maher et al.The effect of tibio-femoral traction mobilization on passive knee flexion motion impairment and pain: a case series. J Man Manip Ther 2010; 18 (1): 29-36.
Moll F, Gunschera S, Zalpour C, Von Piekartz H. Do patients with a long-lasting anterior cruciate ligament rupture have a change in tibial nerve neurodynamics? Cross-sectional study. Man Ther 2017; 21:27-35.
Rogan S, Taeymans J, Clarys P, Clijsen R, Tal-Akabi A. Feasibility and effectiveness of thoracic spine mobilization on sympathetic/ parasympathetic balance in a healthy population – a randomized controlled double-blinded pilot study. Archives of Physiotherapy (2019) 9:15.
Tietze A. Anwendung einer aktiven versus passiven Kniebewegungsschiene in der postoperativen Rehabilitation nach Implantation einer Knie-Totalendoprothese – eine prospektiv-randomisierte Untersuchung 2020.
Traut P. Mythos Verklebung-Update Arthrofibrose 2020.
Xia Yang et al. Continuous Passive Motion After Total Knee Arthroplasty: A Systematic Review and Meta-analysis of Associated Effects on Clinical Outcomes. Ach Phys Med Rehabil. 2019 Sep;100(9):1763-1778.