Am 27.02.2021 war es trotz Corona wieder soweit- der Endoprothetikkongress in Berlin mit der Physiosession hat wieder stattgefunden- natürlich im digitalen Format.
Im ersten Vortrag von Dr. Andreas Hellmann ging es um die Apps in der Behandlung von Knie- und Hüftarthrose: was ist heute möglich. Das kann man einfach beantworten: viel! Es ist möglich die medizinische Versorgung durch Qualität zu verbessern-die App als Begleitung des Patienten auf seinem Behandlungspfad. Aber keine Sorge die Datenanalyse dient nicht dem Ersatz der Behandlung. Die Versorgungsrealität in Deutschland von Osteoarthritis sieht nicht so rosig aus- postoperativ sind 20% unzufrieden. Patienten brauchen zentrierte Parameter zum Assessment und in der Physiotherapie sehen wir den Patienten länger als die Ärzte. Die Apps funktionieren in zwei Clustern: der Entscheidungsunterstützung und dem Selbstmanagement, außerdem ist es wichtig die erhobenen Daten zu visualisieren. Digital in Kombination mit Analog mit dem Ziel den besten Behandlungserfolg für den Patienten und den Therapeuten und den Ärzten zu erreichen.
Der zweite Vortrag von Dr. Clemens Gwinner zeigte ein Update über die Knieendoprothesen.
Es finden immer noch zu viele Operationen statt und es fehlt an der klaren Indikationsstellung: Wer bekommt eine TEP und welche? Auch die neue Leitlinie (S2k-LL 2018) beruht auf sehr subjektiven Angaben, es sollte keine OP nur aufgrund des Röntgenbildes stattfinden. In einer Studie aus den USA wurde eine Kleinstadt am Knie geröntgt: 61 % hatten einen Strukturschaden waren aber beschwerdefrei (Englund et al. N Engl J Med 2008).
Welche Möglichkeiten gibt es:
Der patellofemorale Ersatz ist selten, wird dann aber häufig zu früh angewendet- diese isolierte Arthrose ist besser konservativ zu adressieren, da der Eingriff kompliziert ist. Die Schlittenprothese hingegen wird zu selten eingesetzt, obwohl sie ein geringeres Risiko birgt. Die Indikation ist aber grösser als bisher angenommen. Sie eignet sich für jüngere Patienten mit intaktem Bandapparat und keiner großen Fehlstellung und es kommt auch seltener zu Komplikationen, aber häufiger zu Revisionen im Vergleich zur Totalendoprothese (Hansen et al. J Arthroplasty 2019, Furnes et al. JBJS 2007). Für junge Patienten eignet sich bei einer Varusdeformität auch die Umstellungsosteotomie. Die Totalendoprothese wird bei einem kompletten Strukturschaden des Kniegelenkes angewandt, wenn die konservative Therapie ausgereizt ist. Die Indikationen scheinen doch schwerer als gedacht, um eine realistische Erwartungshaltung zu erreichen.
Der Vortrag von Dr. Kirschbaum thematisierte das schmerzhafte endoprothetische Kniegelenk- was ist, wenn die Prothese fehlschlägt? Als erstes ist die Basisdiagnostik durchzuführen: Röntgen, um eine mechanische Ursache auszuschließen und die Blutentnahme sowie gegebenenfalls eine Gelenkpunktion (bei 33 % ist das Blutbild unauffällig), um den Infektverdacht auszuschließen. Man unterscheidet zwischen einem Lowgrade Infekt, der schlechter zu diagnostizieren ist, da er eher subakut abläuft und dem Highgrade Infekt, der von außen schon gut zu erkennen ist: starke Schwellung, große Schmerzen, eventuell Hautdefekte, so dass die Prothese zu sehen ist…
Mechanische Ursachen können aus einer Diskrepanz des Kniegelenkspalts bei Flexion und Extension entstehen, durch ein Malalignement: Valgus im Knie durch die TEP, durch eine Malrotation oder Maltracking der Patella. Es entsteht dann häufig ein vorderer Knieschmerz. Auch ein Overstuffing der Patella, das heißt sie ist zu dick und führt zur Spannung des Streckapparates(Takahashi KSSTA 2012). Die Häufigkeit der Lockerung und des Infektes liegen bei ca 20%, die Infektion bei 14%. Zu einem Verschleiß kommt es aufgrund der verbesserten Materialien eigentlich nicht mehr (Mortazavi et al. SICOT 2011, Thiele et al. JBJS 2015). Wenn kein Infekt oder mechanische Ursache vorliegt, kann es neben der Muskeldysbalance auch die Arthrofibrose sein. Es kommt bei dieser zu einer überschießenden Entzündung und zur vermehrten Narbenbildung. Dieser Patient bleibt ein Problempatient, denn auch ein erneuter Wechsel der Prothese führt zu schlechten Ergebnissen: nur 8 % profitieren davon (Thiele et al. JBJS 2015, Thompson et al. Orthop Clin North Am 2019)
Im nächsten Teil der Sitzung berichtet Dr. Najfeld über die Indikationen zur Hüftendoprothese. Der Zeitpunkt für die TEP richtet sich in erster Linie nach dem Schmerz- Alter, ROM spielen eine sekundäre Rolle. Es findet gemäß der Leitlinie eine körperliche Untersuchung statt- der Verlust der Innenrotation ist das Kardinalzeichen der Arthrose, als bildgebendes Verfahren verwendet man eine Röntgenaufnahme- a-p und Beckenübersicht als Goldstandard. Die Klassifikation erfolgt nach Tönnies oder nach Kellgren- Lawrence. Differentialdiagnostisch muss man noch die extraartikulären Diagnosen ausschließen: Läsionen im Leistenbereich, ISG und LWS. Die Summation der Erkenntnisse führt dann zur Therapie.
Im zweiten Teil der Sitzung referierte Dr. Vu-Han über den Sport nach Hüftendoprothese, denn 78% der Ärzte erkundigen sich präoperativ nach dem sportlichen Anspruch der Patienten. Der Sport als Ursache für periprothetischen Frakturen ist durch die Literatur nicht belegt (Summer J Surg Orthop 2014). Auch die Luxation und den Abrieb gibt es durch die verbesserten Techniken und Materialien wenig. Sportempfehlung für high impact Sport gibt es frühestens nach 6 Monaten, der wichtigste Faktor für Return to Sport ist die Koordination. Wichtig ist auch die Identifikation der Patientengruppen: Never-Trainers und Pre-Trainers um zum postoperativen Erfolg zu gelangen (Williams et al. Clin Orthop 2012).
Die Physiotherapeutin S. Morgenstern zeigte im Folgenden die postoperative Physiotherapie bei Tumorendoprothesen. Hier gibt es insgesamt eine fragile Patientensituation- ärztliche Rücksprachen sind unumgänglich und es geht um den Erhalt und Funktion der Extremität mit einem langandauerndem Therapieverlauf- diese Patienten befinden sich drei Wochen im stationären Aufenthalt. Nach 2 Wochen beginnt die Mobilisation mit dem Stehbrett, Hüftextension sowie isometrischen Widerstände sind vorerst nicht erlaubt. Nach 3 Wochen darf das Hüftgelenk bis 60 Grad mobilisiert werden.
Die Physiotherapeutin A. Wilk erzählte dann über die postoperative Physiotherapie nach operativ versorgten Wirbelsäulenfrakturen: die Frakturen durch Trauma versus der Spontanfrakturen durch Osteoporose oder Tumor. Häufig sind die Frakturen stabil und bedürfen keiner Operation. Bei der operativen Behandlung gibt es viele Faktoren wie Weichteilsituation, Knochenqualität, Implantat, individueller Anspruch, die für den Erfolg wichtig sind. Die Patienten werden mit einer Kyphoplastie oder stabilisierenden Spondylodese versorgt. Sport ist auch hier nach 6 Monaten wieder möglich, 30% der Patienten kehren nicht zum Sport zurück. Eine Multicenterstudie von 2008 empfahl dieRehabilitation erst nach Abschluss der Akutsituation, heute startet die Rehabilitation so früh wie möglich.
Der letzte Vortrag kam von dem Sportwissenschaftler S. Popvic über die Diagnostik von muskulären Funktionsstörungen vor und nach TEP. Der Kollege zeigte eindrucksvoll die Ganganalyse als konservatives diagnostisches Mittel zur frühzeitigen Diagnose bei Hüftschmerzen. Leichte Fälle gehen in der herkömmlichen Diagnostik oft verloren, da es gerade wichtig wäre, die Schäden nicht erst im Arthrosestadium zu entdecken, sondern schon rechtzeitig einzuschreiten. Bei einer Ganganalyse mit den entsprechenden Highspeed- Kameras und Druckplattmessung können funktionelle Probleme detektiert werden (zum Beispiel eine erhöhte Add und Innenrotation beim Gehen/ Laufen). Anfangs zeigen Patienten eher ein hypermobiles Muster während Arthrosepatienten dann später ein hypomobiles Muster zeigen. Postoperativ ist die Beweglichkeit dann zwar besser als vorher aber nicht mit einer gesunden Kohorte vergleichbar. Das liegt an der „Software“ im Kopf –nach jahrelanger Kinesiopathologie ist das auch nicht erstaunlich. Da hilft das Gangtraining mit Live- Feedback für 20 Minuten, das die pathologischen Muster löscht. Leider werden die Kosten noch nicht von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen (Ganganalyse kostet 250 Euro/ das 30 Minuten Training kostet 80 Euro). Aber man konnte deutlich erkennen, dass dieses Tool Sinn macht und die Investition sich lohnt (BeMoveD Charite Berlin).
Insgesamt wieder eine informative Veranstaltung- nächstes Jahr hoffentlich wieder analog.
Literatur:
Englund et al.: Incidental Meniscal Findings on Knee MRI in Middle-aged and Elderly Person; New England Journal of Medicine 2008
Duncan et al.: Does isolated patellofemoral osteoarthritis matter?; Osteoarthritis Cartilage 2009
Thiele et al.: Current failure mechanisms after knee arthroplasty have changed: polyethylene wear is less common in revision surgery; JBJS AM 2015
Thompson et al: Arthropfibrosis After Total Knee Arthroplasty: Pathophysiology, Diagnosis and Management Orthop Clin North Am 2019
BeMoveD- Berlin Movement Diagnostics, Charite Berlin