Das Tool ist ein einfacher und validierter Fragebogen mit dem das Chronifizierungsrisiko von Patienten mit lumbalen Rückenschmerzen eingeschätzt werden kann. Es teilt die Patienten in drei Risikogruppen ein und hilft Therapeuten bei den Entscheidungsfindungsprozessen in Bezug auf die Therapieplanung.
Lumbale Rückenschmerzen sind eines der wichtigsten Anliegen der Gesundheitspflege (Airaksinen et al. 2006). In allen westlichen Industrienationen besteht eine hohe Prävalenz für lumbale Rückenschmerzen (Waddell 2004). Auch in Deutschland stellen sie ein großes Gesundheitsproblem dar. Die Lebenszeitprävalenz liegt aktuell zwischen 80% – 90%, die Jahresprävalenz zwischen 60% – 75% und die Punktprävalenz bei rund 40% (Schmidt und Kohlmann 2008). Die jährliche Inzidenz von lumbalen Rückenschmerzen wird in der erwachsenen Bevölkerung auf 15% – 20% geschätzt (Andersson 1998). Etwa 20% der Erwachsenen sind mit chronischen Rückenschmerzen belastet, die sehr intensiv oder mit moderaten bis starken Funktionsbeeinträchtigungen einhergehen (Schmidt und Kohlmann 2008). Diese Patientengruppe verursachen 90% der Kosten, die bei Rückenschmerzen anfallen. Die durch die Arbeitsunfähigkeit bedingten Produktivitätsausfälle nehmen einen Großteil der geschätzten jährlichen volkswirtschaftlichen Gesamtkosten von 16 – 21 Mrd.€ ein (Bolten et al. 1998). Dies entspricht den Ergebnissen anderer westlicher Industrienationen (Großbritannien, Niederlande, Schweden) (Schmidt und Kohlmann 2005).
Vor allem psychosoziale Faktoren sind nach heutigem Wissenstand an der Chronifizierung beteiligt. Dazu zählen das Angstvermeidungsverhalten, das Katastrophisieren sowie Depressionen. Die Anamnese bietet die erste Möglichkeit in der Untersuchung psychosoziale Faktoren zu identifizieren. Ein validiertes Assessment ist das StarT Back Tool (Subgroups for Targeted Treatment), mit dem das Chronifizierungsrisiko bei Rückenschmerzen einfach und schnell erfasst werden kann. Es wurde von einer englischen Forschergruppe um Jonathan C. Hill von der Keele University in einer Studie mit 850 Rückenschmerzpatienten entwickelt und 2015 in einer deutschen Version validiert (Hill et al. 2008, Karstens et al. 2015). Das Start Back Tool besteht aus neun Aussagen, die sich auf biologische und psychosoziale Faktoren beziehen. Wird allen Aussagen zugestimmt, erreicht der Patient neun Punkte, dies entspricht dem höchsten Chronifizierungsrisiko. Anhand des Chronifizierungsrisikos kann der Therapeut zusammen mit dem Patienten die Behandlung planen.
In der Subgruppe mit geringem Risiko empfehlen Hill und Kollegen, dass der Therapeut den Patienten physisch untersucht, die Befunde erklärt und die günstige Prognose betont. Weiterhin spielt die Aufklärung hinsichtlich des Verhaltens am Arbeitsplatz bzw. im Alltag sowie die Notwendigkeit einer aktiven Lebensweise eine wichtige Rolle.
In der Gruppe mit mittleren Risiko wird die Ausarbeitung eines individuellen Behandlungsplans zur Schmerzreduktion, Funktionsverbesserung und zum Selbstmanagement mit Hilfe der Edukation (Erklärungen liefern, Rückversicherung bzgl. Prognose), Manueller Therapie und aktiven Übungen, innerhalb von sechs Behandlungssitzungen, empfohlen. Passive Therapien wie Bettruhe, Massage, Traktion und Elektrotherapie spielen dabei keine Rolle.
In der Subgruppe mit hohem Risiko ist eine intensive Physiotherapie, die auf einem umfassenden biopsychosozialen Assessment basiert und sich an verhaltenstherapeutischen Prinzipien und Techniken orientiert, nötig. Hill und Kollegen empfehlen weiterhin psychologische Unterstützung.
Das Tool kann in der primären Versorgung von Patienten mit Rückenschmerzen eingesetzt werden. Daher sollte bereits der behandelnde Arzt das Tool einsetzen, um das jeweilige Chronifizierungsrisiko festzustellen und eine optimal abgestimmte Behandlung zu planen. Spätestens aber in der Physiotherapie sollte das SBT zum Einsatz kommen. Es lässt sich einfach und schnell in die Untersuchung und Behandlung integrieren. Wichtig ist aber, dem Assessment nicht blind zu folgen und das Ergebnis im Kontext der Anamnese und der eigenen Erfahrung zu interpretieren (Luomajoki 2016).
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Literatur:
Airaksinen O, Brox JI, Cedraschi C, Hildebrandt J, Klaber-Moffett J, Kovacs F, Mannion AF, Reis S, Staal JB, Ursin H, Zanoli G. Chapter4. European guidelines for the management of chronic nonspecific low back pain. EurSpine J 2006 ;15 Suppl 2:S192-300.
Andersson, G.B.J.Epidemiology of low back pain. Acta Orthop Scand Suppl 1998 ; 281: 28 –31.
Bolten W, Kempel-Waibel A, Pforringer W. Analyse der Krankheitskosten bei Rückenschmerzen. Med Klin1998;93:388-93.
Hill et al. Primary care back pain screening tool: identifying patient subgroups for initial treatment. Arthritis Rheum. 2008 May 15;59(5):632-41.
Karstens et al. Translation of the German version of the STarT-Back Tool (STarT-G): a cohort study with patients from primary care practices.Musculoskelet Disord. 2015 Nov 11;16:346.
Luomajoki H. Chronifizierungsrisiko bei Rückenschmerzen einschätzen – Start Back Tool. physiopraxis 2016:14 (05):46-47.
Schmidt CO, Kohlmann T. Rückenschmerzen in Deutschland – ein epidemiologischer Überblick. Gesundheitsberichte Spezial Band 5: Rückengesundheit fördern und verbessern.10/2008. http://www.lzg.gc.nrw.de/_media/pdf/gesundheitberichtedaten/gesundheitsberichte-nrw-spezial/gesundheit-spezial_band-5_rueckengesundheit. 15.03.2014.
Schmidt CO, Kohlmann T. Was wissen wir über das Symptom Rückenschmerz? Epidemiologische Ergebnisse zu Prävalenz, Inzidenz, Verlauf,Risikofaktoren. Z Orthop Ihre Grenzgeb 2005;143:292-8.
Waddell G. The Back Pain Revolution. Edinburgh: Churchill Livingstone 2004.
bitte Info wenn neuer Beitragb da ist…..danke für die gute Arbeit.