In der Naturwissenschaft und der Medizin liest man immer wieder über kleine Fortschritte durch neue Entdeckungen, manchmal sogar kleine Sensationen; sie schlagen kleine Wellen. Nicht so in der Physiotherapie. Da gibt es in kurze Abständen neue Therapien mit angeblich sensationellen Wirkungen, die sich in der Physiotherapiewelt rasend schnell verbreiten . Oder soll ich besser sagen: auf dem Fortbildungsmarkt?
Bei den Faszientherapien wäre es schade, wenn diese als eine solche Welle verstanden würde, da die Behandlung des Fasziengewebes ein wichtiger Teil einer Vielzahl von Therapien ist. Nur lag die Betonung, manchmal vielleicht sogar das Bewusstsein, nicht auf diesem Begriff „Faszien“.
Also möchte ich erst einmal genauer auf die Definition des Begriffs Faszien schauen.
Faszien sind das Bindegewebe im Körper. In den achtziger Jahren war mit dem Begriff Faszie eine lockere, oberflächliche, subcutane Bindegewebsschicht (Fascia superficialis) und eine tiefe, dichtere Schicht (Fascia Profunda) gemeint. Die jetzige Beschreibung des Faszienbegriffs, wie die Fascia Research Gruppe um Findley, Schleip und Huijing sie vorschlägt lautet: die Weichgewebeanteile des den menschlichen Körper durchziehenden Binde- und Stützgewebes. Es betrifft also nicht nur lockere und straffe geflechtartige Schichten sondern auch parallelfaserig organisiertes Kollagen.
Der weitgefasste Faszienbegriff umfasst also auch Muskelumhüllungen (peri-, endo- und epimysium), Septen, Membranen, Aponeurosen, Kapseln, Ligamente, Duramater, Perineurium, Periost. Auch die Hüllen der Organe gehören dazu, als viszerale Faszien bezeichnet, ebenso wie das abdominale Mesenterium. Haut, Knorpel und Knochen werden nicht als Faszien gesehen, wobei dies in wissenschaftlichen Untersuchungen zum Teil anders gehandhabt wird.
Wenn ich diese Vielzahl von Gewebsarten und Schichten als Faszie betrachte, ist es mir klar dass es DIE Faszientherapie nicht geben kann, sonder viele Therapeuten Faszien mit ihren Behandlungen beeinflussen . Es gibt, vielleicht etwas aus den Focus geraten, die BGM, die durch Griffe in das Bindegewebe Symptome beeinflusst. Die viszerale Osteopathie nimmt Einfluss auf die viszerale Faszie, Nervenmobilisation beeinflusst das Perineurium.
In der Manuellen Therapie nach Kaltenborn-Evjenth arbeiten wir mit Weichteiltechniken. Wenn wir Quer- und Funktionsmassagen vornehmen, beeinflussen wir die Muskelfaszien und verbessern die Verschiebbarkeit der verschiedenen Strukturen (kontraktile und Faszien) untereinander. Mit Querfriktionen wirken wir auf Sehnen und Ligamente ein, mit Mobilisationen auf die Kapsel.
Die Beispiele ließen sich noch weiter fortsetzen, Euch fallen bestimmt Techniken ein, mit denen ihr täglich arbeitet, die die oben genannten Strukturen beeinflussen.
Aber warum ist denn die Faszie jetzt in aller Munde, womit erklärt sich dieser neue Hype?
Sicher trägt das Interesse verschiedenster angewandter Wissenschaften an den Faszienstrukturen dazu bei, dass auch in der Physiotherapie das Interesse daran wächst. Dies ist auch gut so, unsere Therapie, Untersuchung wie Behandlung, können nur davon profitieren. Die neuen Erkenntnisse alleine erklären den Hype sicher nicht und geben allemal keine Grundlage für eine „neue“ Therapie. Faszienrolle, Fasziendehnung, Faszientraining und Co. sind – so finde ich – kritisch zu betrachten. Bringen sie als Behandlungskonzept überhaupt etwas neues oder ist zum Teil alt bewährtes neu verpackt?
Einen positiver Effekt der Publikationen zum Thema Faszien sehe ich in der neuen Fokussierung der Anatomie. Wo die beschreibende Anatomie sich auf einzelne Muskeln (ohne Fasziegewebe dargestellt!) und Gelenke begrenzt, wird in der Beschreibung der verschiedenen Faszienschichten die durchgehende Verbindung der verschiedenen Körperabschnitte und Muskeln dargestellt. Gerade in der Befunderhebung durch den Physiotherapeuten spielen diese Verbindungen eine wesentliche Rolle. Dysbalancen, Bewegungseinschränkungen, Fehlstellungen usw. bleiben meist nicht lange auf eine Region begrenzt, sondern beeinflussen, zum Teil weit entfernte Gelenke oder Regionen. „Na ja“, kann man berechtigt denken, „das ist doch ein alter Hut“. Das stimmt natürlich, aber alleine schon die Betrachtung verschiedenster Muskelfunktionsketten, von verschieden Autoren zum Teil als unterschiedliche Verbindungen dargestellt, ändert den Blickwinkel. Kreativer Umgang mit diesen Ketten lässt einen manche Problematik anders verstehen. Daraus kann manch anderer Behandlungsansatz für ein festgefahrenes Problem entstehen .
Was mich aber an der Faszienforschung besonders begeistert, sind Erkenntnisse, die mögliche Erklärungen für Behandlungserfolge bieten, die in der Praxis vorkommen aber nicht immer zu erklären waren.
Dies können ganz direkte, örtlich begrenzte Kausalitäten sein: Wenn ich weiß, dass kollagenes Gewebe, wie das der Kapsel eine wechselnde Anzahl an Myofibroblasten hat, dann kann ich verstehen, dass intermittierende Mobilisationstechniken zu Bewegungserweiterungen führen, die durch strukturelle Veränderungen in dem Zeitraum nicht zu erklären sind.
Auch regionenübergreifend können auf Basis von Ergebnissen der Histologie, der Molekularbiologie, von mikroskopischen und makroskopischen Untersuchungen Hypothesen für die Wirksamkeit der Behandlung aufgestellt werden. Wenn Myofibroblasten dazu führen, dass Faszien kontrahieren und entspannen, Fasziengewebe verschiedene Regionen verbindet, sehr dicht innerviert ist und empfindlich für Botenstoffen des sympatischen Nervensystems ist, kann das Beeinflussen des sympatischen Nervensystems Auswirkungen auf die Durchblutung und den Tonus von Faszien in verschiedenen Körperregionen haben.
Wenn Studien belegen, dass Kollagen Bewegungsinput braucht, um sich zu erneuern, dass es seine Anforderungen an Belastung im Sport und Alltag erfüllt, dann ist dies ein schlagendes Argument für die aktive Therapie. Ob dies dann Faszientraining heißen soll und ob die Empfehlungen der Trainingsparameter vergleichenden Untersuchungen standhalten, ist für mich noch offen. Nach wie vor halte ich ein möglichst vielfältiges Training, konzentrisch wie exzentrisch mit hinreichender Intensität für ausreichend, um die Muskeln, Muskelfaszien und anderes kollagenes Gewebe positiv zu beeinflussen.
Interessante Bücher zum Thema Faszien und Muskelketten: Lehrbuch Faszien von Schleip et al.; Muscletrains von Myers, Triggerpunkte und Muskelfunktionsketten von Richter und Hebgen
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