Nach einer Kreuzbandverletzung, konservativ oder operativ versorgt, braucht es einen adäquaten Muskelaufbau. Die Schwierigkeit ist, es die Muskulatur, insbesondere den M. Quadriceps ausreichend zu trainieren ohne dabei das nach konservativer Versorgung sich neu bildende Gewebe oder nach operativer Versorgung das Implantat zu gefährden.
In älteren Studien an Schafen wurde festgestellt, dass 8 Wochen postoperativ eine Phase eintritt in der das Band weniger Belastung verträgt, also schneller reißen kann. Dies wird damit erklärt, dass eine neu implantierte Sehne eine Phase der Revaskularisation braucht. Erst dann kann neues Kollagen gebildet werden. Nach 12 Wochen wird das neue Band fester, die Gefahr zu reißen sinkt deutlich.
Aber was bedeutet dies für die Übungsauswahl?
Eine Studie von Rafael Escamilla u.a., durchgeführt an der Universität von Sacramento USA 2011 und publiziert in Journal of engineering in Medicine in 2012, bietet dem Therapeuten handfeste Empfehlungen die auf biomechanischen Messungen basieren.
Beschäftigten wir uns zunächst mit dem vorderen Kreuzband (VKB).
Es wird festgestellt, dass weight-bearing-Übungen, wir verstehen darunter Übungen in der geschlossenen Kette, weniger Belastung auf das VKB verursachen als non-weight-bearing Übungen, also Übungen in der offenen Kette.
In der Praxis wird oft die Meinung vertreten, dass Übungen in der geschlossenen Kette gar keine Belastung für das VKB erzeugen. Dies muss aber differenzierter betrachtet werden.
Die Belastung für das VKB ist in der geschlossenen Kette vor allem im Flektionswinkel 50-100 Grad gering. Am schonendsten ist es, mit einem zweibeinigen Squat oder einem Ausfallschritt (Lunge) zu arbeiten, wobei der Körper etwas vorgelehnt wird. Das Körpergewicht soll auf den Fersen liegen und das Knie soll nicht über die Zehenspitzen hinaus kommen. In dieser Haltung und in diesem Winkel ist die Belastung gegen 0. Auch unter Durchführung der Übung mit Zusatzgewicht wird das VKB nicht mehr belastet. Wird das Knie aber weiter gestreckt oder werden die Fersen angehoben, kommt es auch in der geschlossenen Kette zu Belastung auf das VKB.
Die Streckung im offenen System zur Kräftigung des M. Quadriceps kann auch zu Beginn der Revalidation ohne Bedenken durchgeführt werden, wenn die Knieflektion 60 Grad und mehr beträgt. Bei 30 Grad Flektion kommt in der offenen Kette auf das VKB eine Belastung, die mit der Belastung vergleichbar ist, die bei der Durchführung des Lachmanntestes auftritt. Es kommt hierbei zu einer geringe Belastung von um die 150 N. Allerdings werden Übungen mit mehr Wiederholungen durchgeführt, als der Test.
Hohe Belastungen für das VKB entstehen erst bei einbeinigen Landungen und Abstoppbewegungen beim Rennen. Dies sind aber sowieso Übungen die erst in einer späteren Wundheilungsphase relevant werden.
Interessant fand ich noch die Belastung auf das VKB bei normalem Gehen. Bis zu 300 N wirken auf das VKB. Dies stellt normalerweise kein Problem dar, zeigt aber doch, dass nicht immer die funktionellen Bewegungen vorzuziehen sind.
Beim Muskelaufbau nach Verletzung des hinteren Kreuzbands (HKB), ist anders vorzugehen. Wo beim VKB-Patienten die Aktivität der Hamstrings (Ischiocrurale Muskulatur) das VKB entlastet, ist es beim HKB-Patienten wichtig, Aktivität der Hamstings zu vermeiden.
Die Kniebeuge in Stand (Squat) oder auf der Leg Press ist in einem vollkommen anderen Winkelbereich durchzuführen als bei Patienten mit einer VKB-Ruptur. Am schonendsten sind die Flektionswinkel von 0 bis 50 Grad. Bei tieferen Kniebeugen nimmt die Belastung auf das HKB stark zu. Isolierte Extention in der offenen Kette stellt kaum eine Belastung für das HKB dar, während isoliertes Flektionstraining Belastungen von bis zu 3000 N verursacht, bei 90 Grad Flektion. Zum Vergleich: Ein gesundes HKB kann um die 4000N aushalten, bis es rupturiert.
Anders als beim VKB soll bei Kniebeugen nach HKB-Verletzung die Kraftausübung nicht auf der Ferse liegen. Das Knie soll bei der Beugung über die Zehenspitze ragen. Dies ist in der Physiotherapie sehr ungewohnt aber bei dieser Ausführung werden die Hamstrings minimal aktiviert und so das HKB wenig belastet.
Damit ist die beste Übung zum Einsteigen in das Training nach HKB-Verletzung der Einbeinsqauat, ohne Zusatzgewicht. Dabei bringt der Patient automatisch das Gewicht weiter nach vorne auf den Fuß, um das Gleichgewicht zu halten. Die Belastung beträgt beim Einbeinsquat auf das HKB um die 400 N bei 90 Grad Flektion. Zum Vergleich: Zweibeinsquat, ohne Zusatzgewicht, aber bei 90 Grad Flektion und das Körpergewicht auf den Fersen bedeutet für das HKB eine Belastung von 2700 N!
Fazit: Kniebeugen sind brauchbar beim Muskelaufbau in der frühen Rehaphase bei VKB und HKB-Patienten. Die Körperposition und der Kniebeugewinkel sind maßgebend für die Belastung der Kreuzbänder.