Für diesen Post hatte ich mir vorgenommen zu beschreiben, wie wir im Kaltenborn-Evjenth-Konzept die Problematik der Hypermobilität angehen.
Ich habe mich sehr gefreut, dass gerade jetzt die aktuelle „Manuelle Therapie“ (September 2015) mit dem Schwerpunkt „Bindegewebe“ und seinem Einfluss auf Hypo- und Hypermobilität im Briefkasten lag. Da kann ich, so dachte ich, Euch mit den allerneuesten Erkenntnissen aus der Wissenschaft versorgen. Aber schon das Editorial von Jochen Schomacher bremste meinen Enthusiasmus. Auch beim Lesen des Artikels von Constantin Mett, Doktorand am Institut für Anatomie und Zellbiologie der Universität Ulm stellte sich heraus, dass insbesondere zum Einfluss des Bindegewebes auf die Entstehung von Hypermobilität die Basiswissenschaften den Physiotherapeuten noch nicht viel gesichertes Wissen liefern.
Trotzdem möchte ich berichten, welche Strategie wir im K-E-Konzept bei Hypermobiltät verfolgen und auf welche Erkentnisse wir uns dabei stützen.
Bei der großen Gruppe von Patienten mit Kreuz- und Nackenschmerzen gilt es über Anamnese und Untersuchung diejenigen herauszufilternen, deren Symptome auf eine Hypermobilität zurückzuführen sind.
Typische Angaben der Patienten sind: Durchbrechgefühl auf Höhe der hypermobilen Segmente, statische Belastung kann nicht lange durchgehalten werden und Bewegung tut gut. In der Inspektion fällt eine Knickbildung auf, die sich bei aktiven Bewegungen vor allem bei der Extention und Seitneigung verstärkt. Bei der Funktionsprüfung ist das Gelenkspiel auf Bandscheibenebene vergrößert, das Endgefühl weniger fest-elastisch. Die Palpation des Ligamentum Supraspinosus ist schmerzhaft. Die Patienten haben keine neurologischen Ausfälle, allerdings können neurodynamische Tests auffällig sein.
Die Therapie im K-E-Konzept stützt sich auf drei Säulen: Aufklärung, axiale Kontrolle und segmentale Kontrolle.
In der Literatur findet man zum Thema der segmentalen Kontrolle Kontroverses.
Studien der Forschungsgruppe um Christine Hamilton, Australien, belegen die Möglichkeiten des gezielten Ansteuerns der autochtonen Rückenmuskeln.
Luomajoki u.a., Finnland, Schweiz, stellen dies in Frage. Sie sehen einen statistisch relevanten Zusammenhang zwischen Kreuzschmerzen und der Kontrolle der Extention und Flektion in der Wirbelsäule. Sie haben dazu eine Testbatterie mit einfach auszuführenden Bewegungen entwickelt. Dies ist eine brauchbare und gut reproduzierbare Herangehensweise. Sie bestreiten aber die Möglichkeit der segmentalen Ansteuerung. Besserung der Symptome wird durch Verbesserung der Kontrolle der Neutralhaltung zwischen Extention und Flektion erreicht .
In dieser Diskussion ist die Differenzierung, die Hamilton in ihrem Artikel in der mt 2013 macht, hilfreich. Sie unterscheidet zwischen posturaler Kontrolle (Kontrolle des Körperschwerpunkts, zum Beispiel auf dem Therapiekreisel), axiale Kontrolle (Kontrolle der Neutralstellung der WS) und arthrokinematische Kontrolle (Kontrolle der intraartikulären Bewegungen). Sie macht klar, dass diese Unterscheidung nötig ist, damit Defizite auf der jeweiligen Ebene mit der passenden Therapie behandelt werden.
Segmentale Stabilisation ist die adäquate Therapie wenn es zu einem Verlust der arthrokinematische Kontrolle gekommmen ist. Die segmentale Stabilisation kann mit Übungen zur axialen und auch posturalen Kontrolle ergänzt werden. Sie ersetzen die segmentale Therapie nicht.
Bei symptomfreien Menschen wird ein Segment durch die automatische Aktivität des transversospinalen Systems und des M. Transversus Abdominus zentriert. Bei anhaltenden Schmerzen bei Hypermobilität und Instabilität werden diese Muskeln nicht länger automatisch aktiviert. Deswegen muss der Patient in der Therapie angeleitet werden, den M. Transversus und die Mm. Multifidii und M. Rotatores zu rekrutieren und damit die Stabilität auf Segmenthöhe zu gewährleisten. Wenn der Patient diese segmentale Stabilisation in einigen Sitzungen geübt hat, wird die Aktivierung wieder automatisiert. Diese segmentale Kontrolle wird dann in Übungen zur axialen Kontrolle integriert. Der nächste Schritt ist es dann, für den Patienten ein Trainingsprogramm zu erstellen. Dies kann Training an Geräten beinhalten, ebenso wie Training mit freien Gewichten und für zu Hause Übungen mit dem eigenen Körpergewicht als Widerstand.
Wir wissen alle, dass Symptome auf Grund der Hypermobilität nicht einfach in den Griff zu bekommen sind. Sie fordern Therapeut und Patient viel Einsatz und Geduld ab. Um so wichtiger ist es, für die Ergebnisse und Erfahrungen aus der Praxis offen zu bleiben. An vielen Patienten haben wir die Bedeutung der segmentalen Stabilisation gesehen.
Also: Dran bleiben, an den Segmenten!
Else