Endoprothetikkongress 2024: Physiotherapiesession
Am 10.02.2024 war es mal wieder soweit, bereits zum zehnten Mal gab es neue Vorträge zum Thema Hüft- und Knieendoprothetik bzw. Arthose in diesem Bereich. Gestartet wurde mit Dr. Meller aus der Charité, der zum Thema Prähabilitation referierte. Unter anderem ging es um die Frage: Wieviel Training hilft vor der OP? Die Studienlage allgemein dazu ist nicht gut und auch die Zwischenergebnisse von der großen Studie der Charité (PRÄPGO) zeigten keinen eindeutigen Effekt. Die vorläufigen Resultate dieser Subgruppenanalyse der laufenden RCT´s konnten keinen Einfluss der dreiwöchigen Prähabilitation in Bezug auf die HOOS-Subskalen im 3-Monats Follow-Up zeigen. Klinisch konnten die Kolleg:innen Unterschiede in den Gruppen sehen, nur abbilden ließ es sich in den Studien nicht. Es braucht mehr Untersuchungen und weitere Überlegungen zu: „Was soll gezeigt werden?“!
Der zweite Vortrag beschäftigte sich mit den Grenzen der Prähabilitation und zeigte, dass auch die internationalen Studien keine Effekte zeigen (Kristin et al.2023, Widmer et al. 2022). Die Hauptursachen liegen an den heterogenen Programmen ohne Assessment´s der Prähabilitationsübungen und schließlich das Wichtigste: der Zeitfaktor. Studien mit längeren Prähabilitationszeiten von mindestens acht Wochen zeigten gute Ergebnisse in den Funktionellen Assessment´s wie TUG, Chair raise, Stair/Gait… In der ambulanten Rehabilitation wird Prähabilitation als Begleitung von der Diagnose angesehen, um eine eventuelle OP zu vermeiden, oder den Zeitpunkt weit in die Zukunft zu verschieben.
Andrea Wilck zeigte danach was es mit dem „bewegten Krankenhaus“ auf sich hat. Studien aus den USA und Dänemark stellten fest, dass während des Krankenhausaufenthaltes nur 6% des Tages mit Aktivität gefüllt werden. Die Muskelkraft nimmt dabei um 1-5% am Tag ab. Daher hat sich die Charité ein Programm auferlegt um Gesundheit neu zu denken. Unter dieser richtungsweisenden Strategie ist „Das Bewegte Krankenhauskonzept“ entstanden. Das gemeinsame Ziel aller Berufsgruppen ist die maximale Mobilität der Patient:innen zu erreichen. Dazu gibt es Projekte wie: KORE, Trimm Dich Pfad, ERAS, PRÄP-GO und vieles mehr. Unabhängig von Alter und Erkrankung ist die Mobilität eine Challenge für alle Beteiligten und erfordert Umdenken bei Patienten, Angehörigen und im interprofessionellen Team. Es hat sich schon viel getan, aber es braucht weitere Stärkung der interprofessionellen Zusammenarbeit, Ausbau von Edukation, digitalen Angeboten, der Prähabilitation und Nachsorge.
Im letzten Beitrag der Hüftsession befasste sich Dr. Luis Becker mit der Gluteus medius Insuffizienz. Er gab den Zuhörern einen Überblick über die Anatomie und die pelvitrochantäre Insuffizienz als periartikuläre Ursache des GTPS „Greater trochanter pain syndrome“. Dabei kommt es häufig zur ansatznahen Foot Print Läsion, Frauen sind viermal mehr betroffen als Männer und die Prävalenz beträgt 1,6- 25%. Die Schmerzen sind undulierend pertrochantär, das Liegen auf der betroffenen Seite ist schmerzhaft und das Gangbild ist ein klassisches Duchenne Hinken mit Trendelenburgzeichen. Als Risikofaktoren gelten das Alter, Schenkelhalsfrakturen und sozioökonomische Faktoren. Die Inzidenz 12 Monate nach Hüft-TEP liegt bei 0,08%- 20 % (Odak et al.2013). Neben der konservativen Therapie bestehend aus Physiotherapie, Schmerztherapie, lokaler Infiltration, Stoßwelle und Lifestyle Anpassung ist auch eine operative Therapie möglich. Prädikatoren für die OP sind ein Fehlschlagen der konservativen Maßnahmen bei anhaltenden Beschwerden (Chandrasekaran et al.2015). Ziel ist dabei die Wiederherstellung der Kontinuität der Abduktoren und anatomische Rekonstruktion des Footprints. Das postoperative Management ist individuell mit meist 15kg Teilbelastung, es wird eine Orthese angelegt und die ROM ist auf 10 Grad Abduktion und 30 Grad Flexion für 6-12 Wochen limitiert und es braucht dafür eine hohe Compliance von den Patient:innen.
Nach der Pause erläuterte Dr.Yannick Palmowski den Effekt von Osteoporosemedikamenten in der Endoprothetik. Es gibt eine altersabhängige Prävalenz der Osteoporose und 24,5 % der Patient:innen haben eine Indikation zur medikamentösen Therapie (Barnatz et al.2019, Arch Osteoporosis 2022). Therapiemöglichkeiten sind auf der einen Seite osteoanabole Präparate wie Terparatid als Knochen aufbauende Medikamente oder auf der anderen Seite antiresorptive Präparate wie Biophosphonate z.B. Denosumab, die den Knochenabbau verhindern. Es gibt eine zunehmende Evidenz für den Nutzen dieser Medikamente hinsichtlich der Revisionsraten in der Endoprothetik und eine Empfehlung zum präoperativen Osteoporosescreening: alle Frauen ab 65 Jahren und alle Männer ab 70 Jahren (Chang et al.2022).
Die Frage, warum so viele Patient:innen diese medikamentöse Therapie ablehnen, liegt an dem Risiko der Kiefernekrose, die aber sehr selten ist (Singh et al 2020).
In dem nächsten Vortrag erzählte Charlotte Fischer von Sinn und Unsinn der Patientenapps in der Endoprothetik. Dazu gibt es ein aktuelles und laufendes RCT von Prof. Dr. Dirk Peschke in dem es um ein Smartphone-assistiertes Arthrosetraining mit Edukation: 330 Teilnehmer:innen über 12 Monate in Kleingruppen und Einzeltherapien. Die Zwischenergebnisse sind positiv, aber die Kosten und Finanzierung dieser App sind noch nicht geklärt. Als Ergänzung ist die Digitalisierung zu sehen, aber nicht als Ersatz der Physiotherapie.
In dem Vortrag von Philipp Damm aus der Biomechanik ging es dann um die in vivo wirkenden Gelenkbelastungen beim Schwimmen. Das Schwimmen gilt als geeignete postoperative Rehabilitation nach Hüft- oder Knie-TEP. Durch die integrierten Sensoren an den Prothesen kann das Julius-Wolff-Institut an einer kleinen Kohorte zeigen, welche Kräfte am jeweiligen Gelenk wirken. Dabei zeigte sich, dass der Kraulbeinschlag belastender ist als der Brustbeinschlag und je höher die Geschwindigkeit ist, umso höher ist die Gelenkbelastung. Insgesamt kann man aber sagen, das Schwimmen die Hüfte und das Knie ähnlich stark belasten, wie typische Übungen im Rahmen der Physiotherapie und Rehabilitation mit 100-250 % BW. Die in vivo wirkenden Gelenkbelastungen hängen vom individuellen Schwimmstil und der Geschwindigkeit ab. Die Gelenkentlastung im Wasser beträgt 35-56 %. Einschränkungen dieser Messungen sind die kleine Kohortengröße, sowie das Alter und die Sportfähigkeit der Patient:innen. Weitere Beispiele der Gelenkmessung finden sich frei verfügbar auf der Orthoload Seite des Instituts(www.OrthoLoad.com).
Der letzte Vortrag von Karina Fanslau beschäftigte sich mit dem Thema: Dehnen. Wann, wie oft, wie lange…Die Evidenzlage ist heterogen. Freiwald hat schon 2000 die strukturellen Veränderungen beim Dehnen beschrieben, Behm et al. 2016 haben gezeigt, dass es am Anfang zur Steigerung der Schmerz- und Dehntoleranz kommt. Darauf folgt die Steigerung der Viskoelastizität von Muskeln und Sehnen sowie die Anpassung der Reflexaktivität und Erregbarkeit der Motoneurone. Die Indikation in der Behandlung ergibt sich aus dem Befund: Eingeschränkte Beweglichkeit und weich-elastisches Endgefühl. Momentan gibt es keine eindeutige Reihenfolge der Effektivität der einzelnen Dehmnethoden, wissenschaftlich bewiesen ist aber, dass Dehnen zu einer Beweglichkeitsverbesserung führt. Unter anderem zeigt sich, dass passiv statische Dehnungen größere Effekte als aktiv statische Dehnungen (Arntz et al.2023) haben. Die statischen Dehnungen sind auch den ballistischen und dynamischen Dehnungen überlegen (Konrad et al.2023). Im Sport kommt es beim Dehnen immer auf das Ziel an. Krafttraining führt im Vergleich zur Dehnung zu einer identischen Steigerung des ROM (Alizadeh et al. 2023). Bedingung ist, dass die Bewegungen über die gesamte ROM ausgeführt werden müssen.
Abschließend war es wieder eine sehr gelungene Veranstaltung mit vielen interessanten Diskussionen! Wir freuen uns auf das nächste Jahr mit hoffentlich wieder reger Beteiligung.
Literatur:
Alizadeh.S. et al. Sports Med 2023“Resistance Training Induces Improvements in Range of Motion: A Systemic Review and Meta- Analysis“
Arntz et al. Sports Med. 2023 „Chronic Effects of Static Stretching Exercises on Muscle Strength and Power in Healthy Individuals Across the Lifespan: A Systemic Review with Multi-level Meta-analysis“
Barnatz et al. J Arthroplasty 2019 „Osteoporosis is Common and Undertreated Prior to Total Joint Arthroplasty“
Chandaserkaran et al. Orthop J Sports Med. 2015 „Clinical Features That Predict the Need for Operative Intervention in Gluteus Medius Tears“
Chang et al. Geriatr Surg Rehabil. 2022 „A Novel Osteoporosis Screening Protocol to Identify Orthoppedic Surgery Patients for Preoperative Bone Health Optimization“
Freiwald, J. 2000 „Dehnen im Sport und in der Therapie. Die Säule“
Konrad A J Sports Health Sci. 2023“Chronic effects of stretching on range of motion with consideration of potential moderating variables: A Systemic Review“
Kristin et al. Am J Phys Med Rehabil. 2023 „Prehabilitation for Total Knee or Total Hip Arthroplasty: A Systemic Review“
Odak et al. Bone Joint J. 2013 „Management of abductor mechanism deficiency following total hip replacement“
Widmer et al. Medicina. 2022 „Effect of Prehabilitation in Form of Exercise and/or Education in Patients Undergoing Total Hip Arthroplasty on Postoperative Outcomes- A Systemic Review“