Eine Kollegin stellte mir einen zehnjährigen Jungen vor, er hatte seit geraumer Zeit Schmerzen im Bereich des linken Hüftgelenkes.
Die ärztliche Diagnose lautete „Muskelzerrung“.
Bei der Anamnese gab der Junge an, dass er seit längerer Zeit Schmerzen im Bereich des linken Hüftgelenkes hatte. Die Beschwerden hatten sich seit kurzem wieder verstärkt. Der Verdacht liegt nahe, dass es durch regelmäßiges Fußballspielen sich erneut verschlechterte. Die Schmerzen wurden überwiegend in der Leistengegend, ventromedial > ventrolateral, empfunden. Sie traten lokal auf und strahlten nicht aus. Eine bisher erfolgte Physiotherapie erbrachte vor der Verschlimmerung der Beschwerden durch das Fußballspielen, keine wesentliche Veränderung.
Die anschließende systematischen Funktionsuntersuchung wie sie im Kaltenborn-Evjenth- Konzept gelehrt wird zeigte folgende Auffälligkeiten:
1.) Inspektion:
Es erfolgte eine spontane Entlastung des linken Beines.
Die WS war mangelhaft aufgerichtet und lumbal wurde sie sehr hyperlordotisch gehalten.
Beim Matthiaß-Hebetest verstärkte sich die LWS-Hyperlordose spontan und deutete auf eine Muskelschwäche hin.
Beim Einbeinstand auf der linken Seite wurde der Oberkörper sofort nach links geneigt. Umgekehrt, beim Stand auf dem rechten Bein konnte der Oberkörper gut aufrecht gehalten werden.
2.) Positive Befunde der spezifischen Funktionstests (hier im Liegen):
Die aktive wie passive Flexion ist im linken Hüftgelenk bei ca. 100° schmerzhaft eingeschränkt. Leeres Endgefühl..
Die Abduktion in der Neutral-0-Stellung ist unauffällig.
Die horizontale Abduktion des angestellten linken Beines ist links deutlich schmerzhaft eingeschränkt.
Die IR/AR in Neutral-0-Stellung ist nicht auffällig, in 90° Hüftflexion schmerzhaft eingeschränkt.
Ebenso ist die Extension des linken Beines deutlich schmerzhaft eingeschränkt.
Beim Widerstandstest wurden nur die Hüftflexoren in ca. 90° getestet. Dabei konnte der Junge aufgrund von Schmerzen keine volle Kraft entfalten. Auf weitere Widerstandstests wurde wegen der Schmerzhaftigkeit verzichtet.
Alle durchgeführten Vergleichstests auf der rechten Seite sind unauffällig.
3.) Interpretation:
Die, durch die ärztliche Diagnose beeinflusste, anfängliche Arbeitshypothese einer Muskelzerrung der Adduktoren musste verworfen werden. Die positiven Untersuchungsergebnisse ließen darauf keinen Schluss zu. Aufgrund der hohen schmerzhaften Bewegungseinschränkung und der deutlichen Schonung des Gelenkes unter der Berücksichtigung des Alters des Jungen, wurde eine weitere ärztliche Diagnostik empfohlen und vorerst keine Therapie durchgeführt.
Die erneute ärztliche Diagnostik zeigte bei einer sonografischen Untersuchung des Hüftgelenkes, dass ein massiver Erguss im Hüftgelenk vorliegt. Die ärztliche Diagnostik wurde korrigiert und lautete: „Hüftschnupfen“ – Coxitis fugax.
Coxitis fugax CF, auch Hüftschnupfen, Coxalgia fugax oder Transiente Synovitis genannt, (ICD 10: M12.8) ist eine Entzündung des Hüftgelenkes, welche kurzfristig auftritt und oft nach ein bis zwei Wochen wieder verschwindet. Meist wird der Hüftschnupfen durch eine vorangegangene Virusinfektion der Atemwege bzw. seltener des Magen-Darm-Trakts ausgelöst. Die Beschwerden treten lokal in der Leistengegend auf, können jedoch auch an der Oberschenkelvorderseite bis zum Knie ausstrahlen. Typisch für diese Erkrankung ist, dass Kinder zwischen dem vierten bis zehnten Lebensjahr betroffen sind, sehr selten darüber hinaus. Jungen sind häufiger betroffen als Mädchen (4:1). Selten kommt es zu beidseitigem Hüftschnupfen gleichzeitig, jedoch kann der Hüftschnupfen mehrmals auftreten. Familiäre Häufungen sind nicht bekannt. Bisher ging man davon aus, dass die CF nicht in einem Zusammenhang mit Morbus Perthes steht. Doch eine neuere Studie von Stobbe et. al. 2015 (Orthop Unfall 2015; 153(1): 80-84) zeigt, dass die Ergebnisse dieser Studie eine statistisch signifikant höhere Inzidenz von Morbus Perthes bei männlichen Patienten nach Coxitis fugax erkennen lässt.
Um differenzialdiagnostisch weitere, meist heftigere, Erkrankungen wie Morbus Perthes, jugendliche Hüftkopflösung und juvenile idiopathische Arthritis abzugrenzen, wird eine sonografische Untersuchung auf jeden Fall empfohlen. Röntgen bzw. kernspintomographische Diagnostik wird nur bei weiterer notwendiger Abklärung empfohlen.
Als Behandlung wird eine ein- bis zweiwöchige Schonung/Entlastung empfohlen. Bei Bedarf können auch schmerzlinderte bzw. entzündungshemmende Medikamente gegeben werden. Um eine Entlastung der Hüfte zu erreichen wird auch eine sanfte Extensionstherapie, bei welcher ein leichter Zug an der Hüfte ausgeübt wird, als hilfreich beschrieben.
Eine Nachuntersuchung wird nach 3 – 6 Monaten empfohlen um eine Hüftkopfnekrose auszuschießen.
FAZIT:
Eine Systematik der Untersuchung und Interpretation erleichtert auch geübten TherapeutInnen die Entscheidung, ob eine schmerzhafte Funktionsstörung therapiebar ist, oder ob weitere Diagnostik notwendig ist. In diesem Falle ist eine diagnostische Abklärung deshalb wichtig gewesen, da es sich nicht nur um eine eher harmlose CF, sondern eher schwerwiegendere Erkrankung wie z.B. Morbus Perthes bzw. juvenile Hüftkopflösung etc. , handeln konnte.
Literatur:
Internetrecherche:
Hüftschnupfen (Coxitis fugax), kindliche flüchtige reaktive Arthritis des Hüftgelenkes (von J. Pförtner / Orthopädische Universitätsklinik Essen)
- Coxitis fugax (Wikipedia)
- Prädisponiert die Coxitis fugax für einen späteren Morbus Perthes? – Erste Ergebnisse einer auf Versicherungsdaten basierenden Untersuchung (S. Stobbe et. al. / Orthop Unfall 20155, 153(1): 80-84 Georg Thieme Verlag KG Stuttgart – New York)
- Die Coxitis fugax – Vorstufe des Morbus Perthes? (T. Mumme et. al Z Orthop Ihre Grenzgeb 2005; 143(5): 529-533 – DOI: 10.1055/s-2005-872465)
Fachbuch:
- Praxis der Orthopädie, Michael Jäger und Carl Joachim Wirth 1986
Matthias Zöller