Vom 20.-23. Oktober 2015 war es wieder soweit. Unter dem Motto `Hinterm Horizont` fand in den Messehallen in Berlin der jährliche Deutsche Kongress für Orthopädie und Unfallchirurgie statt. Basierend auf den drei Säulen Wissenschaft und Forschung, Politik und Gesellschaft sowie Fort- und Weiterbildung gab es folgende Schwerpunktthemen: Orthopädie und Unfallchirurgie im Wachstumsalter, Regeneration vor Reparatur und Ersatz, Endoprothetik und Revisionsendoprothetik, Mobilität und Selbstständigkeit im Alter, Prävention von (O)ben bis (U)nten sowie Wirbelsäulenerkrankungen und -verletzungen.
Erfreulicherweise nutzen jedes Jahr mehr Physiotherapeuten diese Möglichkeit der Weiterbildung, um sich bezüglich Ihrer Nachbehandlung von orthopädischen und unfallchirurgischen Patienten an der aktuellen Datenlage zu orientieren, und dementsprechend ihre Therapie anpassen.
Interessante Sessions zeigten sich vor allem beim Thema `Tipps und Tricks in der Sportmedizin`, wo u.a. Therapieansätze des Patellaspitzen-Syndroms sowie des GIRD (glenohumeral internal rotation deficit) dargestellt wurden:
Beim Patellaspitzen-Syndrom z.B. konnte bisher keine Evidenz für eine Pause vom Sport bewiesen werden. Neben der fokussierten Stoßwellen-Therapie und einer eventuellen operativen Entfernung eines Sporns an der Patellaspitze, sollte die Nachbehandlung immer mit einem heavy load slow resistance training sowie exzentrischem Training einher gehen. Vorsicht sollte bei exzessiven Trainingseinheiten und starken Dehnungen geboten sein, wobei die Gabe von NSAR (nichtsteroidale Antirheumatika) langfristig einen negativen Effekt zeigt. Diese wirken antiphlogistisch (entzündungshemmend), antipyretisch (fiebersenkend) und analgetisch. Nach der Deutschen Zeitschrift für Sportmedizin 2014 sollten entsprechende Grundprinzipien bei der NSAR-Medikation im Training und bei Sportverletzungen gelten, da diese negativ die Heilungsprozesse des muskuloskeletalen Systems und die Adaptionsprozesse der Muskulatur und des Sehnengewebes beeinflussen. Sowohl eine verminderte Proteinsynthese als auch eine verzögerte und qualitativ beeinträchtigte Wundheilung sind die Folge. Zwar wirken die NSAR in der Entzündungsphase einer weiteren Gewebeschädigung entgegen, jedoch sei spätestens in der Proliferationsphase eine lokale Entzündung erwünscht.
Das GIRD-Syndrom, das häufig bei Überkopfsportlern beobachtet wird und mit einem Innenrotations-Defizit einher geht, wird auf dem DKOU nur klar als solches definiert, wenn das Rotationsdefizit insgesamt >7° beträgt. Die Therapie besteht vorrangig aus einer Dehnung der dorsalen Kapsel, die mit Eigendehnungen wie dem `Sleeper´s Stretch`(passive IR) und dem `Cross Body stretch`(passive horizontale Add) ergänzt wird. Dabei wird die scapula durch das Liegen auf der betroffenen Seite stabilisiert. Es besteht insgesamt zudem keine Studienlage über die Rückbildung des GIRD, wenn die Sporttätigkeit aufgegeben wird.
Nicht allein der aktuelle Wissensstand bezüglich der operativen Versorgung und Rehabilitation sollte allerdings der Anlass eines Kongressbesuches sein. Er dient vor allem auch dem berufpolitischen Geschehen. In der Säule, Politik und Gesellschaft, fand zum Thema `Round the table Rückenschmerz-operieren wir zu viel?` eine Diskussion bezüglich Umfang und Auswahl der Therapiemaßnahmen statt. Andrea Rädlein (Vorsitzende des ZVK) kritisiert bei der Diagnose Akut/ Chronischer nichtspezifischer Kreuzschmerz vor allem eine deutlich zu hohe Rate an Fango-Verordnungen (39,0%) im Gegensatz zu KGG-Verordnungen (2,3%). Hier zeigt sich, dass noch viel zu wenig Kommunikation und Rücksprache zwischen Arzt und Therapeut stattfindet und auch das Patientenbewusstsein zu wenig Beachtung findet. Zusätzlich wird die optimale Behandlung der Patienten durch die unzureichende Ressourcenzuweisung für Physiotherapieverordnungen erschwert. Hinzu kommt die, für die Orthopäden aufwendige schriftliche Dokumentation der rechtfertigenden Indikation einer physiotherapeutischen Behandlung.
Um dieser Entwicklung entgegen zu wirken, wäre es wünschenswert, wenn sich die Physiotherapie in Zukunft durch eine höhere Präsenz auf Kongressen wie dem DKOU und einer verstärkten Zusammenarbeit mit den Orthopäden und Unfallchirurgen auszeichnen würde.Anbei der link zur Startseite des DKOU 2016 mit dem Hinweis, dass bis zum 15.08.2016 vergünstigte Frühbucher-Eintrittskarten zu erwerben sind:
http://dkou.org/2016/startseite.html
Auf dem 9. Endoprothetik Kongress vom 18.-20.02.2016 in Berlin ist das physiotherapeutische Programm ebenfalls ein wichtiger Bestandteil, u.a. mit dem Schwerpunkt Wissenschaft. Die Möglichkeit zur Einreichung von Abstracts wurde hier von Physiotherapeuten sehr gut angenommen. Der Endoprothetik Kongress hat sich in den letzten Jahren zum größten deutschsprachigem Forum mit dem Schwerpunkt künstlicher Gelenkersatz am Hüft- und Kniegelenk entwickelt. Anbei der link zur Programmübersicht: